Hallo Thorsten, du bist der Veranstalter des erfolgreichen Ohrbit Festivals, ein Chiptune, 8 Bit und Bit Pop Festival in Duisburg. Das Event findet einmal jährlich statt und macht so die Chiptune Musik Szene einer breiteren Masse zugänglich.
Zunächst einmal, was ist Chiptune, 8 Bit und Bit Pop? Wo liegen die Unterschiede und was genau hat das mit Musik zu tun?

Wohl mit der bekannteste GameBoy-Musikus: Tronimal
Chiptune oder auch Chiptunes bilden eine Art Subgenre innerhalb der computererstellten, elektronischen Musik. Die Musik zeichnet sich durch einen charakteristischen künstlichen Klang aus, den man zum Beispiel mit den klassischen Super Nintendo oder Sega Master System Spielen verbindet. Der Ursprung liegt aber generell in der Heimcomputer- und Telespiele-Ära. Chiptunes werden durch das gezielte Benutzen und Manipulieren eines Soundchips erzeugt. Wobei die Soundchips in den ersten Computern und Konsolen eher mit relativ primitiven Tongeneratoren ausgestattet waren. Ein einfacher analoger Tongenerator kann lediglich einen sinusförmigen Ton erzeugen. Bei den ersten Konsolen konnten später in Echtzeit bis zu vier Töne parallel erzeugt werden und auch die Wellenform des Signals konnte schon beeinflusst werden.
Das Ergebnis klingt eben sehr künstlich/elektronisch und das ist es, was es so spannend macht Musik damit zu erstellen. Durch die Limitierung und eingeschränkten Rahmenbedingungen kommen die interessantesten Tunes und Tracks zustande.
Artverwandte Genres sind Bit Pop, Video Game Music und 8 Bit/16 Bit. Falls sich Chiptune überhaupt irgendwie als eigenes Genre darstellen lässt, da der Sound zwar elektronisch erzeugt wurde, jedoch jedes andere Genre prinzipiell überführbar ist. Auch wenn ein Großteil der Künstlerinnen und Künstler sich auf elektronische Musikgenres spezialisiert hat, so gibt es auch gute Chiptune Reggae, Chiptune Punk oder Chiptune Hip Hop Tracks.
Warum der Veranstaltungstitel "Ohrbit" und warum das Ruhrgebiet als Standort für das Festival?

Ohrbit war auch auf der Gamescom 2019 mit einem Stand vertreten
Der Titel des Festivals ist ein zusammengesetztes Kunstwort aus "Ohr" und "Bit" und spielt neben dem Offensichtlichen auf den Orbit (Umlaufbahn) an. Dies soll verdeutlichen, dass wir vom Eventmanagement stets bemüht sind, den Besuchern des Festivals eine breite Palette an nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern zu bieten. Ebenso versuchen wir musikalisch verschiedene Künstlerinnen und Künstler auszuwählen, damit wir dem Publikum das volle Spektrum der artverwandten Genres Chiptune, 8 Bit, Bit Pop und Video Game Music darbieten können. Der Standort des Festivals ergab sich natürlich durch meine Heimatstadt Duisburg. Sicher wäre es auch möglich gewesen eine andere Stadt im Ruhrgebiet auszuwählen. Die Nähe zu meinem Wohnort bietet aber viele Vorteile was die Organisation und Durchführung des Festivals betrifft.
Wie macht man Chiptune? Und könnte ich das auch lernen?

Melted Moon beweisen, dass Chiptunes auch als Band funktionieren
Chiptune und artverwandte Genres werden heutzutage auf den unterschiedlichsten Wegen erzeugt. Im Prinzip ist dazu nur ein elektronisches Gerät mit einem beliebigen Soundchip erforderlich. Generell ist dies in sämtlichen Spielekonsolen und Computern der Fall. In Ausnahmefällen ist sogar in Taschenrechnern ein kleiner Soundchip verbaut. Was das eigentliche Manipulieren angeht, so gibt es auch hierbei mehrere Möglichkeiten. Zum einen das sogenannte Circuit Bending, wo Sounds und Effekte durch das Eingreifen in die eigentliche Elektronik und sogar durch Kurzschlüsse kreiert werden. Nur noch wenige nutzen die Möglichkeit Tongeneratoren komplett selbst zu Löten (Stichwort Do It Yourself Culture) oder vorhandene Tongeneratoren mit einfachen elektrotechnischen Mitteln, wie Potentiometern oder anderen elektronischen Bauelementen zu verändern oder zu erweitern, so dass eine Modulation möglich wird. Heutzutage existieren für viele Geräte auch sogenannte Trackerprogramme, wie Nanoloop oder LSDj für den Gameboy. Also Software, die wie eine primitive DAW (digital audio workstation) aufgebaut ist und es erlaubt die technisch möglichen Waveformen, Effekte und auch Spuren zu erstellen und zu verwalten. Je nach Soundchip ist der Funktionsumfang dann überschaubarer oder eben komplexer. Ebenso gibt es mittlerweile auch zahlreiche VST Plugins und Synthesizer, die über digitale Signalprozessoren verfügen und den gewünschten 8 bit Sound produzieren. Alles lässt sich heute auch bequem am Computer in einer DAW einsetzen. Während einige Künstlerinnen und Künstler möglichst nahe am eigentlichen Soundchip arbeiten, bevorzugen andere die Arbeit mit modernen Mitteln. So oder so, es ist sicherlich einiges an Wissen nötig um selbst Chiptune zu machen. Zum einen natürlich die Musiktheorie und zum anderen das Erlernen einer (Tracker-)Software oder das Verstehen eines soundgenerierenden Schaltkreises. Lernen kann man alles! Es gibt auch zahlreiche workshops in ganz Deutschland zum Thema Musik mit dem Gameboy und Ähnliches, die den Einstieg erleichtern.
Als Veranstalter für ein solches Event hast du bestimmt auch schon viele Künstlerinnen und Künstler kennengelernt. Wie sind die so drauf und was macht diese Menschen aus?
Das ist eine schwere Frage. Also klar, kennengelernt habe ich schon einige Künstler, obgleich an dem entsprechenden Veranstaltungstag die Zeit für ausführliche private Gespräche eher sehr knapp bemessen ist. Dennoch halte ich die Künstlerbetreuung für einen sehr wichtigen Baustein des Festivals und ich kümmere mich daher immer persönlich um jeden einzelnen Künstler und seine Bedürfnisse vor, bei und nach der Veranstaltung. Die Künstlerbetreuung beginnt meiner Meinung nach auch schon sehr viel früher, so dass man die Künstlerakquise durchaus dazu zählen könnte. Allgemein könnte man wohl frech behaupten, dass Chiptune Musiker auch nicht viel anders ticken, als Musiker anderer Genres. Einige sind eher exzentrisch, andere eher introvertiert. Ich persönlich finde es immer wieder spannend einen weiteren kreativen Menschen kennenlernen zu dürfen. Ich denke, dass was diese Menschen aus macht ist die Mischung aus dem gewissen Drang Musik zu machen, also seine Emotionen auszudrücken, wie es vermutlich jeder Musiker nachvollziehen kann und die Neugier auf alles, was die Technik und technische Umsetzung bis hin zum fertigen Song angeht. Im Vordergrund steht natürlich bei allem nicht zuletzt auch der Spaß an der Musik und der Technik. Die gesamte Chiptune Szene habe ich bisher immer als sehr freundlich und zuvorkommend erlebt, vielleicht gerade weil sie noch relativ überschaubar ist. Die Kooperation und den Zusammenhalt, nicht zuletzt auch mit Hilfe der sozialen Medien, habe ich selten so positiv erlebt. Als artverwandte Szenen sind auf jeden Fall auch die Demo Szene, die Retro Szene und natürlich die Retrospiele Szene zu nennen.
Das Ohrbit Festival ist ja nicht das einzige Chiptune Festival in Deutschland. International gibt es solche Veranstaltung ja bereits seit den späten 80er Jahren. Wie würdest du die Abdeckung und Verteilung in Deutschland und auch international beschreiben?

Vault Kid live auf der Gamescom 2019
Ja genau, wir sind eigentlich eher spät dran mit unserem, vergleichsweise kleinen Festival, was nun allerdings auch schon zum sechsten Mal in Folge stattfindet und auch weiterhin stattfinden wird. Es gibt einige etablierte nationale Events, wie zum Beispiel „8 Pauli" in Hamburg, welches leider 2018 zum letzten Mal stattgefunden hat, „chip hits the fan" in Nürnberg, die Revision Demoparty in Saarbrücken oder das 1UP Fest in Karlsruhe. Sicherlich gibt es noch mehr Veranstaltungen in Deutschland, in Berlin oder anderen großen Städten. Im Ruhrgebiet konnten wir bisher nichts Vergleichbares ausmachen. Wir fanden damals, dass eine solche Veranstaltung in der Mitte Deutschlands irgendwie gefehlt hat. Es blühen auch immer wieder neue Festivals auf und andere werden nicht weitergeführt. Relevante, internationale Events sind sicherlich Eindbaas in den Niederlanden, Bitgrid in Belgien und Chipwrecked in Dänemark. Auch in England, Frankreich und Italien werden ähnliche Veranstaltungen angeboten, dennoch würde ich die Verteilung (leider) noch als vereinzelt und sporadisch beschreiben. Wir hoffen, dass es in Zukunft immer mehr Veranstaltungen dieser Art geben wird und sich die Chiptune Szene somit weiter etabliert.
Was machen die Menschen, wenn gerade keine Veranstaltung stattfindet, wo man diese Art der Musik live erfahren kann?
Die Künstlerinnen und Künstler veröffentlichen natürlich regelmäßig Singles, Alben, EPs und andere Formate, somit geht der Vorrat an neuen Chiptunes sicher nicht so schnell aus. Beliebte Plattformen sind neben eigenen Webseiten bandcamp oder soundcloud. Auch gibt es Chiptune facebook Gruppen, in denen Künstlerinnen und Künstler neue Veröffentlichungen posten oder auf Events hinweisen. Für den deutschsprachigen Raum zum Beispiel die Gruppe „Chipmusik – DE", die damals von den zwei Künstlern irrlicht project und Tronimal gegründet und gepflegt wurde. Ebenso haben sich Webradiosender gegründet, die ihre Reportagen und Berichte zu Retrospielen mit Chiptunes untermalen oder sogar ganze Konzerte in den Äther schicken. Hier sind auf jeden Fall die liebenswürdigen Jungs von „Radio Paralax" zu nennen, welches man einfach über deren Webseite streamen kann. Oder auch „The Station", das Webradio von Nerds and Geeks. Einem Internetblog der Themen „von retro bis heute" veröffentlicht.
Du hast jetzt richtig Lust den kultigen Chipsounds zu lauschen? Dann brauchst du nicht lang suchen, wir haben für dich empfehlenswerte Chiptune Webseiten zusammengetragen:
Radio Paralax|RainWave|GermanRemixGroup
Du kennst noch weitere empfehlenswerte Chiptunes Webseiten? Dann lass es uns doch in den Kommentaren wissen!
Gibt es denn auch eine direkte Verbindung zu klassischen Videospielen/Retrospielen oder wird hauptsächlich eigene Musik über die entsprechenden Soundchips komponiert?
Die Chiptune Szene beschränkt sich nicht auf eigens komponierte Musik. Es gibt auch einige Musiker und auch ganze Bands, die sich auf Remixe spezialisiert haben. So sind zu einigen Spielesoundtracks schöne, neue Versionen und Darbietungsformen in verschiedenen Stilrichtungen entstanden. Die meist bekannten Melodien haben einen hohen Wiedererkennungswert beim Publikum und somit erleben die häufig verwendeten Retrospiele gerade einen zweiten Frühling. Nicht zuletzt auch durch die Tatsache, dass man neue Emulatoren hat, die es ermöglichen mehrere Spielekonsolen mit sehr vielen Spielen zum Beispiel auf einem kleinen Raspberry Pi im Wohnzimmer zu betreiben. Eine kleine Runde Super Mario Kart abends auf dem Sofa hat wohl noch keinem geschadet. Aber allgemein kann man sagen, bieten gerade die Retrospiele eine unbeschreibliche Fülle an wunderschönen oder verspielten Melodien und viele Möglichkeiten diese wieder zu verwenden oder neu zu interpretieren. Ob nun gesampled, geremixt oder gleich nachgebaut.